Prof. Dr. med. Franz Klaschka

In Memoriam *1930 – †2006

“Der Brief aus Rom”

Wenn die Zeit da ist, verliert jedes Argument gegen den Ehestand seine Bedeutung. Der Gang zum Standesamt ist meist unkompliziert, der Weg zur Kirche mitunter ein Problem. Ich weiß, wovon ich rede. Gemeint ist hier das althergebrachte, doch streng bewahrte katholische Ehegesetz.

Zur Heirat entschlossen, gingen wir, Alma und ich, trotz unterschiedlicher Konfession, unbeschwert zum katholischen Pfarramt in Berlin-Dahlem, meiner zuständigen Kirchengemeinde. Der Geistliche, ein mir aus der Studenten- und Assistentenzeit gut bekannter und auch allgemein geschätzter Priester, empfing uns freundlich und begann – nach einer lockeren Einführung – mit der üblichen bürokratischen Exploration. Meine Daten fanden anstandslos Aufnahme in dem vorgegebenen Fragebogen. Bei Alma ergab sich jedoch ein schier unlösbares Problem. Im Gegensatz zu mir, dem katholischen Junggesellen, war Alma evangelisch, bereits einmal getraut und wieder geschieden worden. Kaum war diese Vorgeschichte ausgesprochen, ließ der Geistliche den Bleistift mit gespreizten Fingern ungefähr aus der Stirnhöhe auf den Tisch mit Fragebogen fallen, wobei er seufzte: „Tja, das tut mir leid. In diesem Fall schließt das katholische Kirchengesetz die Trauung aus!“.

In mir brach eine Welt auseinander. Und sie wurde auch nicht geheilt durch die priesterliche Erklärung: Rom betrachte, dem 100 Jahre alten katholischen Ehegesetz zufolge, die evangelische Trauung ebenso wie die katholische als Heiliges Sakrament und daher als unauflöslich. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß die evangelische Ehe nicht kirchlich, sondern – nur – standesamtlich geschlossen und bald darauf wieder gelöst worden war. Anders als die katholische Kirche erlaubt die evangelische die kirchliche Trauung auch für bereits Geschiedene.

Alle meine Einwande und Gegenargumente änderten nichts an der römisch-katholischen Auffassung vom Eherecht. Enttäuscht machten wir uns auf den Weg. Schon an der Tür, hörten wir den Pfarrer rufen: „Vielleicht gibt es für Sie ja doch noch eine Chance. Sie liegt beim Bischöflichen Ordinariat. Die Entscheidung aber fällt letztlich in Rom. Das Verfahren erfordert allerdings, wenn es denn in Gang gesetzt wird, große Hingabe und Geduld. Der Ausgang ist ungewiß, aber nicht hoffnungslos“. Mit diesen mysteriösen Worten drückte er mir einen Zettel in die Hand, auf den er rasch die Telefon-Nummer des Bischöflichen Ordinariats geschrieben hatte.

Der Kirche Christi ein bitteres Lebewohl sagend, gingen wir nachdenklich vom „Schwarzen Grund“ in Dahlem, zurück in meine Wohnung. Was tun? Verzichten auf die Kirche überhaupt, die katholische durch die evangelische ersetzen oder gedulden und hoffen auf Rom? Weil die Liebe nun aber auf die Kraft und Herrlichkeit des Herrn vertraut und wir, Alma so wie ich, nicht anders strukturiert sind, als allen Hindernissen zum Trotz den schwereren Weg zu gehen, wagten wir den Versuch, durch das uns aufgezeigte Nadelöhr zu kommen und begaben uns zum Bischöflichen Ordinariat in Berlin-Charlottenburg, Wundtstraße 51.

Dort trafen wir in dem Bischöflichen Justitiar Dr. Armbruster einen sympathisch offenen, liebenswerten und humorvollen Mann und Anwalt, eher Mitte als Ende der Dreißig. Ein Grund, der unser Heiratsbegehren förderte, war übrigens das Herannahen unseres Sohnes Stephan. Daß er -nebenbei gesagt- drei Jahrzehnte später gleich nebenan, in der Wundtstraße Nr. 48, gleich über dem Lietzensee, seine Wohnung beziehen wird, spielt hier vorerst keine wesentliche Rolle.

Dr. Armbruster, passionierter Pfeifenraucher, stopfte sich in aller Ruhe seine Bruyer, setzte den wohlgebeizten Tabak in Brand, lehnte sich in den Ledersessel zurück und hörte sich, ohne Unterlaß fein duftende Rauchwölkchen in die Luft blasend, nahezu amüsiert meine Zornesausbrüche an, die dem verstaubten römischen Ehegesetz, dem Schlaf der Kurie im Zeitalter der europäischen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte mit der millionenfachen Durchmischung der Christenheit sowie dem Aufbruch der Wissenschaft und Technik bis zum Flug in den Weltraum ebenso galt wie meiner unmißverständlichen Forderung nach einer unverzüglichen Reform des römisch-katholischen Ehegesetzes angesichts der Bedrohung des Christentums insgesamt durch den kommunistischen Atheismus einerseits und andererseits durch Andersgläubige wie die heranströmenden Islamisten.

„Also gut“, sagte der Rechtsgelehrte, nachdem ich mein Pulver – vom Orbit bis zur Herztransplantation ausgreifend – verschossen hatte, „ich werde sehen, was ich für Sie tun kann. Die Sache erscheint mir begründet, dar über entscheiden muß der Vatikan, genauer gesagt: die Rota, die oberste rechtliche Kirchen-Instanz. Die erste Voraussetzung ist eine von Ihnen verlangte Erklärung, die Zustimmung nämlich für eine genaue Überprüfung der ehelichen Beziehungen in Bezug auf ihre Gültigkeit“. Ohne zu ahnen, was diese Worte des Justitiars zu bedeuten hatten, jedoch ermutigt von dem aufgeflackerten Hoffnungsfunken, unterschrieb Alma den vorgeschlagenen Kontrakt.

Monate vergingen und Jahre – ohne jede Nachricht. Wir hatten längst im Rathaus Schmagendorf standesamtlich geheiratet und nach Stephan, dem Sohn, auch unsere Tochter Anne bekommen, als die Nachricht eintraf, der erste Ehemann von Alma und Vater ihres ersten Sohnes Jochen sei tot. Nun stand einer kirchlichen Trauung eigentlich nichts mehr im Wege. Und siehe da: Kurz darauf kam auch der so lange erwartete Brief aus Rom. Die Rota, das hohe vatikanische Gericht, schrieb uns auf kostbar weißem Papier: Der “Defensor vinculi”, der Verteidiger des Ehebandes, mithin die päpstliche Instanz, entspreche unserem Antrag und erkläre die erste Ehe von Alma für nicht gültig von Anfang an. Zu diesem Urteil habe eine sorgfältige Überprüfung aller Daten und Fakten geführt.

Doppelt frei gegeben, lag nun der Weg zum Traualtar offen vor uns. Der große Freudensprung aber blieb aus. Die Nachricht aus Rom kam einfach zu spät. Wir lebten inzwischen – kirchlich gesprochen – glücklich im Konkubinat. Freilich, der Verzicht auf den Segen der Kirche hat schwerwiegende Folgen: Während mir der Weg zum Tisch des Herrn untersagt ist, verliert unser Sohn Stephan die Voraussetzung, jemals Papst werden zu können, zumindest nach derzeitiger römischer Gesetzeslage. Womöglich ist dies aber noch nicht das letzte Wort.

Andererseits gebietet die Stellungnahme der Rota größten Respekt. Sie gestattet uns den Empfang des Sakraments der Ehe nach Auflösung einer vorausgegangenen Ehe, eine außerordentliche Gnade, die vielen hohen, ja höchsten Würdenträgern versagt geblieben ist. Dazu gehörte König Heinrich VIII. von England und neuerdings die monegassische Fürstentochter Caroline, neben einer Reihe weiterer namhafter Persönlichkeiten. Gleichwohl kein Grund zur Freude für uns, zum Nachdenken durchaus.

Denn unergründlich sind die Wege des Herrn. Erst Jahrzehnte später erfuhren wir, wie die Kirche von Rom aus sämtliche Quellen ausgeschöpft hatte, um die Erstehe von Alma zu evaluieren. Klerikale Agenten suchten – nach Art der Inquisition – alle damaligen Kontaktpersonen zu einer “peinlichen” Befragung auf. Nicht nur die Eltern und Geschwister Almas, ob Ost, ob West, mußten minuziöse Fragen beantworten, auch Almas Zimmer-Vermieterin in Ost-Berlin wurde über voreheliche und eheliche Verhältnisse verhört, die Schlafzimmersphäre nicht ausgenommen. Allen Befragten wurde zuletzt das Versprechen abgenommen, über die Gespräche und Inhalte zu schweigen für alle Zeit. Die Sonne aber bringt es doch an den Tag.

6 comments on ““Der Brief aus Rom”

  1. Nelly Lemerle
    October 2, 2014
    Nelly Lemerle's avatar

    Hello, I just bought Franz Klaschka’s book “Berliner Mauerlieder. Ein Abriss”, and I found it very interesting. But I don’t really understand : were there songs composed by Franz Klashka himself ? If so, is it possible to find recordings or scores ?
    Thanks for your answer !

    • Stephan Klaschka
      October 2, 2014
      Stephan Klaschka's avatar

      Thank you for your kind interest in my father’s life stories and poetry. To your question, my father did not write songs or perform. He was reading from his works publicly on occasion but I am unaware of any recordings.
      For your information, I do plan to make more of his works and poetry available over time.
      Thank you for your interest and feedback!

      • Nelly Lemerle
        October 2, 2014
        Nelly Lemerle's avatar

        Thank you for your answer ! His book “Berliner Mauerlieder. Ein Abriss” mentions as a “Vorwort” : “Mauerlieder sind dem Alltage entsprungene Gesänge eines Zeitzeugen im Schattenwinkel der Mauer”. If I understand well, he would just have composed the texts, with no music ? Why call them “Mauerlieder” then ? I’m a little confused…

      • Stephan Klaschka
        October 2, 2014
        Stephan Klaschka's avatar

        I assume it is not meant literally, i.e. in a musical sense. I hope you enjoy the reading nonetheless.

  2. Christian Strobel
    May 8, 2015
    Christian Strobel's avatar

    Hallo Herr Klaschka, wir haben in sofern etwas gemeinsam, als ich auch gleich Ihnen niemals Papst werden könnte. Bei mir war die Konstellation elterlicherseits umgekehrt: Vater geschiedener protestant, Mutter Katholikin – jedoch ohne Rota-Appellation. Dass mir mein Taufpfarrer in Charlottenburg seinerzeit weissagte, ich würde wohl Geistlicher werden, weil ich ihn bei seinen Worten mehrfach überbrüllte, steht auf einem anderen Blatt – und ist auch nicht eingetroffen. Ich stolperte heute an meinem Schreibtisch in Stralsund über einen synonymen Drehbuchautoren (gar ein Verwandter?) und kam via Kombination mit dem Terminus “Dermatologie” schlussendlich hier an.
    Gern erinnere ich mich an meine Zehlendorfzeit 1972-90, in der ich auch in der Praxis am Teltower Damm neben der Adler-Apotheke als Patient geführt wurde. Meine jüngere Schwester war lange vor unserem Umzug aus Charlottenburg auf Empfehlung in anderer Sache bereits dort beim Vater in Behandlung gewesen. Ich erinnere mich Ihrer beider Eltern, feine und reizende Menschen – Ihre Mutter klein und dunkelhaarig, in ihrer Art irgendwie der meinen gleichend. – Wir lebten damals schon ein besonderes Leben in unserem ummauerten West-Biotop……….Ich freue mich, diese Seite hier gefunden zu haben; sie bietet vielfältige Reminiszenzen und Erinnerungen an Gewesenes. Und wenn man den Teltower Damm heute entlanggeht……wo sind Wurl, Franz Mentz, Porzellan-Bauch, Antkowiak……….?
    Tempora mutantur – ich grüße Sie herzlich von der Ostseeküste!

    • Stephan Klaschka
      May 10, 2015
      Stephan Klaschka's avatar

      Freut mich sehr über Ihren Kommentar und von Ihnen zu hören, Herr Strobel. Eine Stimme aus der Vergangenheit, schöne Erinnerungen… Da fällt mir noch Butter Lindener ein und das Bali-Kino in der Seitenstraße.
      Die Webseite legte ich posthum für meinen Vater an, meine Mutter lebt nun in Bayer. Meine Absicht ist es mehr Manuskripte und Gedichte meines Vaters zu posten, wenn ich dieser habhaft werde.
      Viele Grüße in den Norden!

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This entry was posted on June 18, 2014 by in Berlin, Biographisches, Familie.