Chiemgau Zeitung, 10.-12. April 2004
Folge 8 der Serie „Die Verteibung: Opfer erinnern sich“
Als Bub geht Franz Klaschka im Sudetenland durch die Hölle (Folge 8)
“Ich komme von den Geschehnissen nicht los”, sagt Professor Dr. med. Franz Klaschka noch heute. Seine Vergangenheit ist geprägt von Bildern, die an Grausamkeit kaum zu überbieten sind. Die Vertreibung aus dem Sudetenland, die Entrechtung und Enteignung, Zwangsarbeit, Folter und Mord.
Was Franz Klaschka 1945 als 14-jähriger in seiner Heimat Triebitz bei Landskron mitansehen musste, ist unvorstellbar. Seit Kriegsende erlebt er täglich, wie unter dem grausamen Regime des äußerst brutalen tschechischen Kommissars Vergewaltigen und Raub durch die Russen, aber auch Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Prügelorgien und Morde zur Tagesordnung gehören.
Im Mai 1945 wird er Zeuge, wie in Landskron Dutzende von Deutschen mitten auf dem Marktplatz von einem tschechischen „Blutgericht“ zu Prügelstrafen oder zum Tod durch Erhängen oder Erschießen verurteilt und mit Gummiknüppeln, Ochsenziemern oder Gewehrkolben am ganzen Körper brutal misshandelt werden. Ältere Männer werden versehleppt oder ermordet.
“Zwei meiner Verwandten wurden gefoltert und lebendigen Leibes im Kohlenfeuer einer unter Dampf stehenden Lokomotive verbrannt“, erinnert sich Klaschka.

Erlebte als 14-Jähriger seine „Scheinexekution“
Doch auch er selbst gerät Mitte Juni 1945 in die Gewalt des berüchtigten Kommissars und seiner beiden tschechischen Helfer.
Gemeinsam mit seinem 80-jährigen Großvater wird er in das Schulgebäude abgeführt, das zum Gefängnis mit Folterkammer geworden war. In der gefliesten Speisekammer der Oberlehrerwohnung geht er durch die Hölle. Der Kommissär schlägt ihn mit einem Knüppel bis zur Bewusstlosigkeit.
„Am Tag darauf wurde ich, bedeckt von schwarz-blauen Schwellungen, von den beiden jungen Tschechen wieder in die Folterkarruner geschleift”, erinnert er sich. Dort bietet sich ihm ein schrecklicher Anblick: Sein von dem Kommissar zu Tode geprügelter Großvater liegt regungslos vor ihm. Der junge Klaschka soll unter Morddrohung Gold- und Gewehrversteck seines Großvaters bekannt geben. Doch der Bub weiß nichts. Er nimmt die Morddrohungen ernst und bangt Tage und Nächte lang um sein Leben, während die beiden Mordgesellen des Kommissars vor seinen Augen ihre Schießkünste an Konservendosen üben. Tage später wird er, völlig erschöpft, in den Garten geführt und vor einen Holzpflock gestellt. Er vernimmt das Entsichern der Pistolen und die Schießbefehle. Die Schüsse verfehlen seinen Kopf nur knapp. Er überlebt die „Scheinexekution“ und darf nach Hause gehen.
Zwei Tage später, am 21. Juni 1945, erhalten die Familie Klaschka, sowie die übrigen Bewohner des Ortes, den Befehl, die Heimat innerhalb einer Stunde mit 25 Kilo Gepäck und Essensvorräten für zwei Tage zu lassen. Auf dem 15 km langen Fußmarsch in das benachbarte Olbersdorf spielen sich dramatische Szenen ab. Wer sich dem Willen der Tschechen zu widersetzen versucht, muss dies mit seinem Leben bezahlen.
Franz Klaschka erinnert sich an eine Frau, die den Menschenzug kurzerhand verlassen hatte, um offenbar in letzter Minute etwas Zurückgelessenes aus ihrem Haus mitzunehmen. Ebenso sprang ein als geistig behindert bekannter Mann aus dem Ort von der Straße in die Felder. Beide wurden auf der Stelle ohne Vorwarnung erschossen.
Auch in Olbersdorf meint es das Schicksal nicht gut mit der Familie. Tschechische Bauern wählen unter den aufgereihten Vetriebenen Zwangsarbeiter aus. „Es ging zu wie auf einem Sklavenmarkt“, beschreibt Klaschka die Szene. Mit seinen Eltern und weiteren Dorfbewohnernkommt er auf einen Gutshof in Hodecin, auf dem er von Juni 1945 bis September 1946 als Pferdeknecht rackern muß.
Im September 1946 schließlich werden die Klaschkas in Viehwagons nach Mecklenburg-Vorpommern transportiert. Getrocknete Brotwürfel, die sie noch während der letzten Wochen auf dem Gutshof heimlich beiseite gebracht hatten, retten ihnen auf der langen Fahrt das Leben.
Dort angekommen ist der Hunger ein ständiger Begleiter der Familie. Drei Jahre später gerät der heute 73-Jährige Oberschüler in Parchim abermals in eine bedrohliche Situation. Diesmal jedoch ist es die russische Staatspolizei GPU, die Vorgängerorganisation des KGB, die ihn sechs Wochen lang in Einzelhaft gefangen hält und ihm in quälenden nächlichen Verhören in die Mangel nimmt. Insgesamt werden in dieser Zeit im Kreis Schwerin an die 1000 Mitschüler willkürlich verhaftet, gefoltert und in ein Gulag verschleppt. Der Grund für die erlittenen Qualen: „Wir waren Deutsche“, erklärt Klaschka das eigentlich Unerklärliche. Er selbst entkommt den Fängen der sowjetischen Geheimpolizei durch die Flucht nach West-Berlin, wo er 1950 das Abitur ablegt.
Mittlerweile lebt Klaschka mit seiner Frau im Ruhestand am Chiemsee und geniesst die schöne Umgebung von Gstadt. Doch die Bilder der Vergangenheit werden niemals gänzlich ruhen können: „Ich habe mit 14 meine Kindheit, meinen Glauben an das Gute im Menschen unwiederbringlich bis heute verloren.“