Willst du, lieber Weihnachtsmann,
nicht einmal von den bequemen
Reisewegen Abschied nehmen
und dich zu uns her verirren,
deine Schritte seitab führen,
in die sonderbare Stadt,
die den Bär im Wappen hat?
Weihnachtsmann, du würdest staunen
Überall sähest du Sterne,
die von Osten und von Westen
auf die Stadt herniederschwirren,
hörtest Panzer und Raketen
durch zerfurchte Wälder klirren.
Freilich, wenn du mit dem Schlitten
hierher zu Besuche kämest
und womöglich in Paketen
auch Geschenke mit dir nähmest,
müßte ich dich sorgsam warnen
vor den sonderbaren Sitten,
die gebräuchlich sind am Tore:
Stahlbeton und Stacheldraht
kamen dir auf allen Wegen
links und rechts sogleich entgegen.
Zwischen diesen Staatsalleen
führt nur eine Spur zur Stadt.
Schon von weitem kannst du sehen,
daß, erhöht auf der Empore
und vor ungezählten Schranken
aufmerksame Männer stehen,
die dich selten freundlich grüßen,
aber umso schneller schießen,
denn es sollen in den Mauern
viele Klassenfeinde lauern.
Lasse dich bei dem Gedanken
aber bitte nicht erschrecken.
Achte nur auf deine Wege.
Enge Serpentinenstrecken
Muß du langsam überwinden.
Wenn du auf die Ampeln achtest
und den Schilderwald betrachtest,
wirst du schon zur Einfahrt finden.
Dort beginne gleich zu suchen
nach den gültigen Papieren.
Prüfe sie in jedem Falle,
denn du brauchst sie wirklich aIle.
Kommst du vor das erste Häuschen,
bleibt dir meist ein längres Päuschen.
Und du hast jetzt Zeit zum Fluchen.
Fluchen hält den Kreislauf jung
und verschafft Erleichterung.
Solltest du bei deinen Gaben
Druckerzeugnisse, Funkgeräte
oder gar Tonträger haben,
beispielsweise auf Kassette
eine alte Operette
oder eine Symphonie,
guter Mann, verstecke sie!
Sonst, bei deinem Silberbarte,
zahlst du jede Menge harte
Währung an die strengen Herren,
die sich, wenn sie dich belehren,
um das Kapital nicht scheren.
Hattest du ein kleines Tier,
Katze oder Hund, bei dir,
müßtest du es deklarieren
für gesonderte Gebühren.
Lieber guter Weihnachtsmann,
schau mich jetzt nicht böse an,
wenn ich dir gestehen muß,
daß du nun bei alledem
weit entfernt bist von dem Schluß,
daß du schon passieren könntest.
Erst wenn du zum sechsten Male
Paß- und andere Kontrollen,
abgesehen vom Verzollen,
Überdauerst und an alle,
die dich sehen müssen oder sollen,
deine Nase richtig wendest,
eine wahre Affentour beendest,
darfst du fügsam weiterrollen.
Manches will ich dir ersparen.
Möchtest du es doch erfahren,
wäre meine Hoffnung hin,
dich zu sehen in Berlin.
Komme aber, Weihnachtsmann,
darum muß ich wirklich bitten,
nicht mit einem Rentier-Schlitten
auf der Straße hergefahren.
Denk an Maul- und Klauenseuche!
Die wird hier nicht gern gelitten.
Fahre Auto oder Bahn.
Fliegen wäre ziemlich teuer.
Vielleicht kommst du mit dem Charme
deiner vollgepackten Arme
spielend an die engelgleiche
PAN-AM-Stewardess heran.
Gratis auf der Wolkenbahn,
wäre Spitze, Weihnachtsmann!
Auf dem Weg im Wolkenschiffe
brauchtest du durch keine Tore.
Doch – die Luft hat Korridore,
die wie Schneisen von Berlin
niedrig Richtung Westen ziehn.
Bist du endlich hier gelandet,
darfst du jede Not vergessen.
Friedlich lächeln alle Wesen.
Vor den meterhohen Mauern
siehst du keinen Menschen trauern.
Freude wachst aus der Bemühung
der totalen Umerziehung.
Stahlbeton und Stacheldraht
formen einen Zukunftsstaat.
Bis zur wahren Menschlichkeit
sind die Wege nicht mehr weit.
Mauern sind wie Himmelsleitern,
die den Fortschrittsblick erweitern.
Nur zum Spaße möcht ich wetten,
du vermutest jetzt, ich spinne,
wenn ich in der Tat beginne,
anzunehmen, daß nicht nur die Ketten,
sondern auch Beton und Steine
jede Menge klitzekleine
aufmachbare Löcher hätten.
Laß dich also von dem Reigen
meiner Wünsche überzeugen:
Hole aus den Sternenzonen
einundzwanzig Legionen
kleiner Engel nach Berlin.
Lasse sie erst wieder ziehn,
wenn sie mit dem Schwung der Flügel
Stahlbeton und Mauerziegel
Stück für Stück zertrümmert haben.
Mache aus dem Klotzbeton
Marzipan und Fruchtbonbon.
Trage diese Liebesgaben
dann in alle Himmelszonen
zu den Menschen, die da wohnen,
und verschenke pro Person
hundert Kilo Hartbeton.
Nikolaus, das Allerbeste
zum Berliner Weihnachtsfeste
waren ein paar Mauerreste.
Was ich hier am Ende meine,
sind nicht nur die harten Steine,
sondern auch die engen Hirne
im Gefolge der Gestirne.