Daß die Zufallsbeobachtung weit größere Folgen haben kann als eine nobelpreiswürdige Entdeckung, ist belegt. Erwähnt sei hier das Beispiel der Ameisen. Erkannt, respektive begriffen, wurde ihre besondere Wesenheit erstmals am Algarve, in Portugal. Zwar hätte dies auch an der Costa del Sol, an der Riviera oder vor der Türkei geschehen können, als Fundstatte gilt indessen ein Fischerdorf am Rio de Cacela. Der Ort hat nur 12 oder 13 Hauser. Ihre Steinmauern lehnen an einer im 8. Jahrhundert erbauten und Mitte des 13. Jahrhunderts teilzerstörten Maurenburg, der sie ihre Existenz weithin verdanken.
Ausschlaggebend für das Ereignis war ein Zufall: Dem Entdecker kamen, nicht ganz ungefährlich, beim Überqueren der Straße, Köpfe von Fischen, Hühnern oder Kaninchen, begleitet von Darm- und Beinteilen, aus Fenstern und Türen entgegen, kreuz und quer wie Geschosse. Ihre Flugbahn endete auf dem Straßenpflaster vor der Burg. Hunde jeder Gestalt und Größe erschienen, nahmen, nicht unumstritten, den jeweils angemessenen Teil und ließen einige Brocken zurück für die Katzen, deren Zahl die der Hunde bei weitem übertraf. Dennoch blieb von allem so viel übrig, daß auch Ratten und Mäuse gesättigt wurden. Der Rest gehörte den Ameisen. Sie hatten in kürzester Frist die Fundstelle geortet und weitergemeldet. Unverzüglich herangeführte Arbeitskolonnen begannen, noch während des Zerlegens der Brocken und Bröckchen, mit deren Abtransport. Im Nu war die Straße gesäubert, beispielhafte Müllbeseitigungsökologie. Experimente erhärteten dieses besondere Phänomen. Ein Tropfen Honig, eine Melonenscheibe oder die tote Fliege aus der Kaffeetasse, alles war in Minuten abgeräumt. Ameisen unterschiedlicher Farbe und Größe traten auf den Plan; kleinere, mittlere, größere, zumeist dunkelbraun schillernde, aber auch rötlich glänzende waren dabei. Sie kamen aus ihren Quartieren, aus der Ackerkrume, dem Steinverlies, aus dem morschen Holz des Feigenbaumes. Alles hatten sie in Besitz genommen und besiedelt, hatten Gange und Wohnraume angelegt in Feld und Wald, entlang der Küste und hinauf in die Berge. Sie unterminierten Fischer- und Bauernkaten, Backofen und Schweinestalle. Ihre ganze Sorge galt der Aufzucht, Vergrößerung und Ausbreitung ihrer Völker. Ihre Straßen wurden breiter. Nahrungsreste verschwanden mit wachsender Geschwindigkeit. Selbst Vorratskammern boten keine hinreichende Sicherheit. Nicht nur die Ortschaft, das ganze Land geriet in Not. Mit Zunahme der Ameisenplage verloren auch Schlafstellen ihre Geborgenheit. Sie wurden heimgesucht und ihres Inhalts beraubt. Als das erste säuberlich abgenagte Skelett gefunden wurde, ertönte ein Ruf, ein menschlicher Schrei, kampfbewußt und todesmutig. Er lautete schlicht: Ameisenpulver. (Mata formigas.)
Innerhalb weniger Tage verdoppelte ein Weltkonzern seinen Jahresumsatz. Demnach verschwand das Mittel bald aus den Verkaufsregalen. Da geschah etwas Unerhörtes. Eine Revolution veränderte die Welt. Sozialprogramme linderten die Armut und brachten technischen Fortschritt ins Land, ins Dorf. Die Katen wichen riesigen Wohnsilos. Bäche wurden begradigt und reguliert. Kein Stein blieb, wo er natürlicherweise lag. Hochwasser trat auf, Austrocknung folgte. Die Tiere verließen ihr Biotop. Äcker, Haine, Pflanzungen wichen dem Straßen- und Häuserbau. Grünes Land verwandelte sich in braune Dürre. Elektrizität hielt Einzug. Lampen leuchteten auf und Schirme, Tag und Nacht. Lautsprecherlärm eroberte den Raum und besiegte das gesprochene Wort.
Dem Fortschritt vorausgegangen war die Vernichtung der Ameisen. Andere Lebewesen ergriffen Besitz vom neuen Lebensraum. Ihre Fähigkeiten nutzend, suchten und fanden sie ihre ökologische Nische. Seltsame Wesen, waren sie doch bemüht, ihrer ständigen Müdigkeit zu begegnen durch fortwahrendes Liegen an der Sonne. Ihrem blassen Körper dunkle Braune zu verschaffen, war ihr einziges Ziel. Was sie erstrebten, ohne Unterlaß, war: Die Farbe der Ameisen. Obschon anders als jene, haben diese Wesen nur zwei Beine, ihre oberen Gliedmaßen erscheinen überflüssig. Doch gerade darin liegt die größte Gefahr. Von relativ plumper Form, ohne geschliffene Krallen, greifen sie nach jedem sich bietenden Gegenstand, und geben dafür ein Häufchen Metallscheiben oder bunt bemalte Papierchen hin. Der Griffe bedienen sie am liebsten und der Knöpfe an Geraten, die gefährliche Wirkungen zur Folge haben. Nicht nur auf Erden, hört man, sondern auch am Himmel.
Aus allen Richtungen strömen sie herbei, wie vormals die Ameisen. Ungeachtet ihrer Farbe und Größe nehmen sie das Land in Besitz und errichten Quartiere. Im Nu haben sie eine Fundstelle geortet, weitergemeldet und abgeräumt. Jeder Felsen, jede Ackerflache ist besiedelt, der Oliven- und Feigenbestand dem Straßen- und Garagenbau gewichen. Ihre Quartiere Oberwuchern das Feld, den Wald. Sie gehen entlang der Küste bis hinauf in die Berge. Fischer- und Bauernhäuser sind verschwunden, Backofen und Schweineställe in Vergessenheit. Ihre Sorge gilt der Aufzucht, Vergrößerung und Ausbreitung der Völker. Natürliche Nahrung verschwindet immer schneller. Selbst Vorratskammern bieten keine Sicherheit mehr. Der Ort, das Land gerät in Not durch die unerträglich wachsende Plage. Schlafstellen verlieren ihre Geborgenheit. Da ertönt ein Ruf, ein Schrei, kampfbewußt und todesmutig: Wie er lautete, das zu erkunden, obliegt neuen, nachfolgenden Art.